Die besonderen Räume der Elisabethinen
Eine architektonische Erkundungsreise von Veronika Müller
Im Allgemeinen ist unsere gebaute Umwelt für uns Alltag. Lebensraum, den wir mehr oder weniger nützen, über den wir mehr oder weniger verfügen und den wir mehr oder weniger mitgestalten, den wir manchmal gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Für Kunstwissenschafter*innen sind Gebäude aber auch Quellen. Zeitzeugnisse, die Einblick in die Geschichte geben, Veränderungen unserer Gesellschaft und unserer Wertvorstellungen widerspiegeln. Besonders eindrücklich lassen sich diese Veränderungen an Gebäudekomplexen ablesen, die über Jahrhunderte entstanden sind, die erweitert, umgebaut und erneuert wurden.
Das über 250 Jahre gewachsene Areal der Elisabethinen Linz ist solch ein Zeitzeugnis, weshalb sich im Wintersemester 2023/24 eine Studierendengruppe der Katholischen Privat-Universität Linz im Rahmen eines Proseminars auf eine architektonische Erkundungsreise gemacht hat. Durch die methodische Annäherung an verschiedene Bauabschnitte sollten die Teilnehmer*innen geeignete Herangehensweisen des Betrachtens und Beschreibens lernen und die Anwendung einer Fachterminologie trainieren. Darüber hinaus galt es, verschiedene Bauteile und Räume in die Entwicklungen der jeweiligen Zeit einzuordnen und Fragen nach der räumlichen und sozialen Wirkung zu diskutieren.
Denn das Kloster der Elisabethinen war seit der Erbauung stets mehr als nur Lebensraum und Klausur der Ordensfrauen. Als eines der ältesten Linzer Krankenhäuser musste die Anlage auch den sich entwickelnden Ansprüchen von Medizin und Pflege Rechnung tragen. Sowohl die Frage, wie sich Abläufe der Pflege als auch wie sich das Zusammenleben vieler Menschen gestalten lässt, war dabei von jeher maßgebend für die Gestaltung. Historische Fotos und Bauakten zeigen beispielsweise, dass der heute als repräsentativ und der Erholung gewidmete Innenhof über Jahrzehnte dem Wirtschaften vorbehalten war und mit Einbauten an die jeweiligen Erfordernisse angepasst wurde. Aber auch die historischen Konstruktionen belegen, dass Funktionalität und Effizienz keine Erfindung der Moderne sind, sondern ihnen auch bei historischen Gebäuden zentrale Bedeutung zukam. Erst mit der Errichtung der Krankenhaus-Neubauten ab 1957 wird der Altbau auf die Funktion eines Wohnhauses reduziert und auch die uns heute typisch erscheinende Atmosphäre von Ruhe und Kontemplation wird wohl damals erst Einzug gehalten haben.
Eine besondere Geschichte der Transformation sozialethischer Vorstellungen von Gemeinschaftlichkeit, Sakralität und Repräsentation erzählen die Sakralräume der Elisabethinen, und veranschaulichen, wie sehr Gestaltung von den Vorstellungen der Nutzung, hier der liturgischen Konzepte, abhängig ist. Die barocke Klosterkirche ist mit ihrer Kuppel, den üppigen Malereien und den prunkvollen Ausstattungen als „himmlischer Festsaal auf Erden“ und auf die sinnliche Erfahrung einer Himmelsbeziehung ausgerichtet, an dem Bürger*innen, Patient*innen und Schwestern, zwar räumlich separiert, aber dennoch gemeinsam teilnehmen. Im Zuge des Krankenhausneubaus wird diese Gemeinschaft auf mehrere Sakralräume aufgeteilt und neben einer mittlerweile abgebrochenen Krankenhauskapelle eine Konventkapelle errichtet, in der noch vor Ende des zweiten vatikanischen Konzils die liturgischen Reformen umgesetzt werden. Abgeschottet von der Öffentlichkeit, bietet der nur scheinbar einfache Sakralbau den Ordensmitgliedern einen exklusiven Gebetsraum und reagiert damit zum einen auf ein Bedürfnis der Schwestern nach Rückzug vom stetig wachsenden Krankenhausbetrieb. Architektonische Details wie die an Joche erinnernde Struktur der Faltwerkdecke, die sich an der Fassade als expressive Abfolge von Giebeln abbildet, die Akzentuierung des Raums durch den leicht abfallenden Boden, oder das durch die abstrakten Betonglasfenster bestimmte Wechselspiel von In-Sich-Gekehrtheit und Ausstrahlung in das Stadtleben zeigen, wie hier der Versuch unternommen wird, Neuerungen und Bekanntes, Vertrautes zu verbinden.
An der 2009 entstanden Elisabethkapelle schließlich kann man die sich in der postmodernen Gesellschaft verstärkte Suche nach „Communio-Räumen“, also Räumen, in denen sich eine vielschichtige Gemeinschaft zur liturgischen Feier oder zur Kontemplation konstituiert, nachvollziehen. Bewusst ins Zentrum der gesamten Anlage von Konvent und Krankenhaus gesetzt, nimmt der Bau mit seiner ovalen Lichtkuppel Aspekte der barocken Kirche auf und übersetzt sie in zeitgenössische Formen. Waren im barocken Bau wie im Nachkriegsbau die Besucher*innen und die Ordensgemeinschaft noch räumlich getrennt, ist dieser Raum nun ein gemeinsamer Ort an dem Ordensfrauen wie Patient*innen und Angehörige gleichermaßen Teil haben.
Als besonderes Gustostück dieser architektonischen Entdeckungsreise sei abschließend noch das Schwimmbad der Elisabethinen erwähnt, das in den Innenhof des Konvents eingegraben wurde. Dieser nach Außen unsichtbare Raum in seiner farbigen Ästhetik der 1970er Jahre verdeutlicht, wie sehr die Elisabethinen als Bauherrinnen immer wieder bestrebt waren, zeitgemäße und wertschätzende Raumangebote zu setzen.
V. MÜLLER
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