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Der Sonnengesang – Lobpreis Gottes durch die Schöpfung

Das kostbare Geschenk des heiligen Franziskus an die Welt

Er gehört zu den schönsten Texten christlicher Spiritualität und ist zugleich das älteste Zeugnis altitalienischer Volkssprache: der „Cantico delle Creature“, der Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi (1181/1182-1226). Ein Jahr vor seinem Tod, im Frühjahr 1225 entstanden, bildet er die poetische Verdichtung dessen, was der Tuchhändlerssohn Francesco Bernardone nach seiner radikalen Hinwendung zum Evangelium an Lebens- und Liebeserfahrung machen durfte.

Dabei brach dieses Loblied nicht in einer Stunde des Glücks aus ihm heraus, sondern musste der äußerst prekären Situation des Krankenlagers auf der bloßen Erde, ausgeliefert den über ihn hinweglaufenden Mäusen, abgerungen werden. Als ‚Kopfkino‘ und aus der visuellen Erinnerung heraus ruft der von Schmerzen am ganzen Körper geplagte und durch eine damals unheilbare Augenkrankheit blind Gewordene die Gestirne und Elemente, ja alles, was existiert, zu Lobpreis und Dankbarkeit gegenüber Gott auf. Trotz Not und Dunkelheit weiß er sich geborgen in der allumfassenden Liebe Gottes, von der er im September 1224 in der Stigmatisation einen „Beweis“ erhalten hatte, der beglückend und leidvoll zugleich war.


 

Standort Graz

Die kunstvollen Fenster der „alten“ Kapelle, die noch bis Anfang des Jahres 2025 bestand, wurden in der Glasmalerei Stift Schlierbach angefertigt und von den Künstler*innen Adolf A. und Heide Osterider gestaltet. Die Echtantikbleiglasfenster mit Opalgläsern bilden die Elemente des Sonnengesangs in besonders stimmungsvoller Weise ab. Die Elemente, die Franziskus im Sonnengesang lobt – Sonne, Wind, Wasser, Feuer und Erde – sind in der Kapelle allgegenwärtig und prägen die Atmosphäre des Ortes. Der Sonnengesang ist im Krankenhaus, einem Ort zwischen Krankheit und Genesung, besonders bedeutsam, da er eine Botschaft der Dankbar


Als Mystiker mag uns Franziskus deshalb heute eher ferngerückt sein, als äußerst schöpfungssensibler Mensch dagegen tritt er uns angesichts der Klimakatastrophen unserer Tage wie ein Prophet und Lehrmeister aus der Geschichte entgegen: Seine geschwisterliche Wertschätzung, ja Ehrfurcht vor allem, was ihm als Mitgeschöpf begegnete, selbst in Gestalt eines Wolfes, des natürlichen Fressfeindes des Menschen, löst ungläubiges Staunen und Respekt bei allen aus, die sich mit den franziskanischen Quellen beschäftigen. Hier verzichtet ein Mensch aus freien Stücken – im Vertrauen darauf, dass er von Gott gehalten ist, komme, was da wolle –, um seinen Platz in der Welt zu kämpfen. Franziskus macht sich so radikal arm, dass er auch 800 Jahre nach seinem Tod nur äußerst wenige Nachahmer:innen gefunden hat. Das ist die heilsamernste Kehrseite dieses wunderbaren Schöpfungsliedes.

Doch auch die theologisch-praktischen Konsequenzen seines Sonnengesangs, mit dem er sich zum Sprecher aller Geschöpfe macht, ohne sich als Herr über die Mitgeschöpfe zu erheben, wurden bis heute nicht gezogen. Noch immer, selbst zehn Jahre nach der bahnbrechenden Enzyklika von Papst Franziskus Laudato Sí bestimmt das (völlig unbiblische) Selbstverständnis des Menschen als „Krone der Schöpfung“ das Denken und Handeln vieler, die sich zum christlichen Glauben bekennen. Franz von Assisi zeigt uns exemplarisch, in welchem Verhältnis das Geschöpf „Mensch“ zum Schöpfer steht:

„Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.“

Selbst die Gottesebenbildlichkeit, auf die wir gerne und mit Stolz verweisen (Gen 1,27), bleibt hier unerwähnt. Dafür stellt uns Franziskus die Sonne als „Sinnbild“, als sichtbares Zeichen für den unsichtbaren Gott vor Augen. Was für die Menschen des Mittelalters weitgehend noch geheimnisvolle Lebenswirklichkeit war, die Abhängigkeit allen Lebens von der Intensität des Sonnenlichtes, das wird durch die Naturwissenschaft erst recht gestützt: Denn heute wissen wir, welche Bedeutung der Abstand der Erde zur Sonne und die schützende Ozonschicht für das Wachsen und Gedeihen aller Kreatur haben und wir staunen zurecht über die Tatsache, dass Licht und Wärme der Sonne, die wir in diesem Augenblick genießen, schon vor mehr als einer Million Jahren ihren „Weg“ in Richtung Erde angetreten haben.


Standort Linz

Das Mosaik „Der Sonnengesang“, welches sich in der Palmenhalle des Ordensklinikum Linz Elisabethinen befindet, wurde in den Jahren 1979 bis 1980 durch den bedeutenden schwedischen Künstler Bengt Olof Kälde (1936-2014) geschaffen. Es illustriert den bekanntesten Text des Franz von Assisi, Ordensbegründer der Franziskaner. Kälde gilt als einer der bedeutendsten Mosaikkünstler und Glasmaler Europas. Vor allem für seine großen und aufwändigen Mosaikkunstwerke in Kirchen bekannt. Im Mosaik drückt sich die tiefe Verbundenheit des Franziskus mit der Natur und seine Dankbarkeit gegenüber Gott als Schöpfer aus. Er preist die Schöpfung – Sonne, Mond, Wind, Wasser, Feuer und die Erde – und spricht sie als seine „Brüder“ und „Schwestern“ an.


Der paarweisen Aufzählung von Mond und Sternen, von Wind/Luft und Wolken sowie den beiden Komplementärelementen Wasser und Feuer folgt die Hervorhebung der „Schwester, Mutter Erde,“ die als Ur-Matrix dient für alle irdische Materialität – in all diesen Worten steckt das lateinische mater = Mutter. Wie auf einem imaginären Familienfoto ist sie umgeben von ihren ‚Kindern‘, das heißt allem, was sie gebiert, den „Früchten, Blumen und Kräutern“. Hier wie an vielen anderen Stellen in dem ursprünglich „Laudes creaturarum“, Lobpreisungen der Geschöpfe, betitelten Hymnus verweist die Dreizahl einmal ganz selbstverständlich auf den dreieinen Gott, bildet aber zugleich auch eine dreifache Abstufung ab, die den aufmerksam Lesenden aufhorchen lässt. So im Falle der drei ‚Tätigkeiten‘, die der Betende der Mutter Erde zuschreibt, „die uns erhält (ital. sustenta) und lenkt (ital. governa) und hervorbringt (ital. produce) – ist dies doch bis in die Wortwurzel hinein dieselbe Begrifflichkeit, die den heutigen weltweiten Diskurs über den Umgang mit der Schöpfung bestimmt.

Ich erinnere an die „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen, die sog. Sustainable Development Goals (SDGs). Sie stellen gleichsam das prosaisch-praktische Pendant des Sonnengesangs dar, die moderne Willenserklärung zur Verantwortungsübernahme für die so geschundene, von den Menschen-Kindern ausgebeutete Mutter Erde. Nicht nur deshalb sollten diese Ziele uns zum Herzensanliegen werden. Die Enzyklika Laudato Sí, die die Anfangsworte des Sonnengesangs im Titel trägt, betont zurecht, „dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.“ Wir wissen heute: Ein Weiterleben, ja die Weiterexistenz des Lebens überhaupt auf dieser Erde hängt wesentlich davon ab, ob es uns gelingt, Gerechtigkeit und Frieden miteinander zu verbinden. Auch diese Wahrheit findet ihren Niederschlag in diesem Lobpreis-Gebet des heiligen Franz:

„Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen und Krankheit ertragen und Drangsal. Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.“

Der Überlieferung nach fügte der Poverello diese Strophe aus aktuellem Anlass hinzu und beauftragte zwei seiner Brüder, den so erweiterten Text den beiden streitenden Autoritäten, Bischof und Bürgermeister, vorzusingen, um sie zum Einlenken und zu einer tragfähigen Kompromisslösung zu bewegen. Solch Vertrauen in die Wirkkraft eines Liedes mag im 21. Jahrhundert reichlich naiv erscheinen. Doch Franziskus, der obendrein sein eigenes Leiden und inständiges Gebet zugunsten einer gütlichen Einigung in die Waagschale warf, behielt recht: mit seinem Appell an die Vernunft und mehr noch dem Verweis auf die höhere Gerechtigkeit erreichte er die Herzen der Kontrahenten und stärkte den so fragilen zwischenmenschlichen Frieden. Doch damit nicht genug: Beherzt und demütig spricht der Schwerkranke auch das Unsagbare, das allzu gern Verdrängte an und nimmt den unausweichlichen Tod in den Blick. Hier wird wohl der Unterschied in den Sprachen und den darauf aufbauenden kulturellen Vorstellungen am deutlichsten: Während wir in der deutschen Literatur ein Verwandtschaftsverhältnis bestenfalls mit der altertümlichen Rede vom „Gevatter Tod“ umschreiben, dabei aber in der Kunstgeschichte mit Totentanz und Sensenmann abschreckende, ja fast traumatisierende Bilder für das nach Zeit und Ort, Art und Dauer unbekannte Ende unseres irdischen Lebens haben, erscheint dies personifiziert als „sora nostra morte corporale – unsere Schwester, der leibliche Tod“ beinahe wie eine zweite Hebamme, die uns beim Übergang von der einen Dimension des Lebens in die andere helfend zur Seite steht. Wer wie Sie, liebe Leserinnen und Leser, im Krankenhaus, in Hospizeinrichtungen oder auch bei Notarzteinsätzen tagtäglich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert wird oder selbst mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit das kurze Leben vor dem Tode noch zu gestalten versucht, dem mag ein solches Bild vielleicht fremd und beschönigend vorkommen.


Standort Wien

Für die Gestaltung der Gänge auf vier Etagen wurden jene Verse des Sonnengesangs gewählt, die sich mit den Elementen Sonne, Wind, Wasser und Erde befassen. Jedes einzelne der rund 60 Bilder bringt Botschaft und Sinnbild der franziskanischen Wurzeln der Trägerorden im Sonnengesang des heiligen Franziskus zum Ausdruck. Franziskus schuf diese Hymne auf die Schöpfung am Ende seines Lebens, als er selbst schwer krank in San Damiano bei Assisi lag. Im Zentrum des Sonnengesangs steht Franziskus´ Liebe zur Natur und seine Verbundenheit mit den Elementen: Themen, die Menschen berühren, unabhängig von Religion, Herkunft oder der gegenwärtigen Situation, in der sie sich befinden.


Und dennoch: Für Franz von Assisi war der Moment des Übergangs, des Transitus, eine Tatsache, auf die er ein Leben lang hingelebt hat, nicht erst, als er schon dem Tode nahe war. Mehrfach hatte er ihm in die Augen geschaut, als junger Mann im Städtekrieg zwischen Assisi und Perugia, während seiner einjährigen Kriegsgefangenschaft und der langwierigen Genesungszeit, auf der stürmischen Überfahrt ins Heilige Land und unter den Prügeln derer, die ihn für einen Spion oder Verrückten hielten. In der Nachfolge Jesu Christi, dessen Fußspuren er in seinem Leben nachgehen wollte (vestigia Christi sequi), akzeptierte Franziskus das Gesetz von Werden und Vergehen, das allem Leben auf Erden eingeschrieben ist. Gleichzeitig entnahm er aber dem Evangelium die Hoffnung auf ein ewiges Leben als Angebot der unendlichen Liebe Gottes. Von seinem Bemühen, sich dessen würdig zu erweisen und alles mit den Augen Christi zu betrachten, davon gibt der Sonnengesang beredtes Zeugnis und ist zugleich seit über 800 Jahren beständige Quelle der Faszination dieses heiligen Minderbruders!

SCHWESTER M. THERESIA WITTEMANN OSF, AUGSBURG

Vgl. 17 Ziele - Vereinte Nationen - Regionales Informationszentrum für Westeuropa Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus (2015), Nr. 49.

Sonnengesang

Du Höchster, Allmächtiger, guter Herr, Dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und die Ehre und alle Benedeiungen. Dir allein, Höchster, kommen sie zu, und kein Mensch ist würdig, Dich zu nennen.

Gelobet seist Du, mein Herr, mit allen Deinen Geschöpfen, besonders durch Schwester Sonne, welche der Tag ist und uns erhellt durch sich selbst. Und schön ist sie und strahlend mit großem Glanz; von Dir, Höchster, trägt sie das Sinnbild.

Gelobet seist Du, mein Herr, durch Bruder Mond und die Sterne, am Himmel hast Du sie gemacht: Klar und kostbar und schön.

Gelobet seist Du, mein Herr, durch Bruder Wind, und durch die Luft und die Wolken und jegliches Wetter, durch die Du Deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.

Gelobet seist Du, mein Herr, durch Schwester Wasser, die sehr nützlich und demütig ist, und kostbar und keusch.

Gelobet seist Du, mein Herr, durch Bruder Feuer, durch den Du erleuchtest die Nacht, und er ist schön und fröhlich und kraftvoll und stark.

Gelobet seist Du, mein Herr, durch unsere Schwester, die Mutter Erde, die uns ernährt und versorgt und vielartige Früchte hervorbringt, mit bunten Blumen und Kräutern.

Gelobet seist Du, mein Herr, durch jene, die verzeihen durch Deine Liebe und ertragen Krankheit und Trübsal. Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von Dir, Höchster, werden sie gekrönt.

Gelobet seist Du, mein Herr, durch unseren Bruder, den leiblichen Tod, welchem kein lebender Mensch entrinnen kann. Wehe denen, die sterben in tödlicher Sünde. Selig jene, die sich finden in Deinem heiligsten Willen, denn der zweite Tod wird ihnen kein Böses tun.

Lobet und preiset meinen Herrn, und danket und dienet Ihm mit großer Demut.


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