Caritasdirektor Klaus Schwertner im Interview

Mit kleinen Taten die Welt zum Besseren verändern.

Caritasdirektor Klaus Schwertner im Interview

Eine der bekanntesten Hilfsorganisationen Österreichs ist wohl die Caritas. Sie ist dafür bekannt, sich Menschen in unterschiedlichsten Notsituationen zu widmen – nicht nur in Österreich. Caritasdirektor Klaus Schwertner war zu Gast beim heurigen Symposium der Elisabethinen und erzählt im Interview, wie einfach wir alle Teil dieser Bewegung sein können.

Herr Schwertner, Sie haben beim Symposium der Elisabethinen ein T-Shirt mit der Aufschrift „Bin i die Caritas?“ getragen. Dürfen wir Ihnen die Frage direkt stellen: Sind Sie die Caritas?

KLAUS SCHWERTNER: Dieses T-Shirt soll deutlich machen – wir alle sind die Caritas! Jede und jeder Einzelne hat jeden Tag aufs Neue die Chance, diese unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen. Oft fühlen wir uns angesichts der vielen Krisen klein. Ich höre immer wieder den Satz: Wir können ja die Welt nicht retten. Und meine Antwort bleibt immer dieselbe: Ja, jeden Tag sollten wir durch kleine und große Taten selbst Teil der positiven Veränderung werden, die wir uns herbeisehnen. Als Caritasdirektor kommt mir natürlich die verantwortungsvolle und wunderschöne Aufgabe zu, die Caritas, ihre Ideen und ihre Werte maßgeblich mitzugestalten und auch nach außen eines der Gesichter der Organisation zu sein. Doch die Caritas, das sind viele hauptberufliche und freiwillige Menschen in ganz Österreich und weltweit. Als Caritas ist es unser Auftrag seit über hundert Jahren: Not sehen und handeln, sowie soziale Innovationen voranzutreiben und unsere Hilfsangebote laufend weiterzuentwickeln! Dabei ist es unser Anliegen, Menschen Mut und Lust darauf zu machen, die Gesellschaft gemeinsam zum Positiven zu verändern und füreinander da zu sein. Österreichweit sind rund 50.000 freiwillige Helferinnen und Helfer für die Caritas im Einsatz – sie schenken Suppe an obdachlose Menschen aus, unterstützen armutsbetroffene Kinder mit kostenloser Lernhilfe, telefonieren mit einsamen Menschen beim Plaudernetz, begleiten Menschen am Ende ihres Lebens in der Hospizarbeit und vieles mehr. Dieses Engagement macht unsere Vision von einer gerechteren Zukunft und einem guten Leben für alle lebendig.

Die Aufforderung „Aufstehen!“ stand im Titel unseres Symposiums. Sie sind ein Mensch, der diese Aufforderung immer wieder in die Tat umsetzt. Was motiviert Sie dazu, sich für andere Menschen einzusetzen?

KLAUS SCHWERTNER: Ich begegne in meiner täglichen Arbeit vielen Menschen, die oft unbedacht „die Schwächsten der Gesellschaft“ genannt werden. Doch selten habe ich mehr Hoffnung und Stärke gesehen, als bei jenen, die selbst in schwierigen Lebenssituationen den Mut haben, immer wieder weiterzumachen: Alleinerziehende, die ihre Wohnung nicht mehr heizen können, Mindestpensionistinnen, denen am Ende des Monats kein Geld für Lebensmittel übrigbleibt. Kinder, die vor Krieg und Zerstörung fliehen mussten. Oder obdachlose Menschen, die auf der Straße stehen. Sie alle sind alles andere als schwach – ihre Stärke und ihre Hoffnung berühren mich immer wieder aufs Neue und machen mir selbst Mut. Gleichzeitig darf ich jeden Tag an Orten wie den Lebensmittelausgabestellen, den Lerncafés, den Wärmestuben und vielen weiteren erleben, was möglich ist, wenn Menschen bereit sind, einander zu unterstützen und füreinander einzustehen. Jede Suppe, die wir verteilen, jedes Gespräch, das wir führen und jede Hilfe, die wir ermöglichen, bekämpft nicht nur den Hunger, die Einsamkeit oder die Not, sie schenkt auch Hoffnung. Diese Hoffnung verändert nicht nur die Menschen, denen geholfen wird, sondern auch jene, die helfen. Und unsere Gesellschaft insgesamt. Und wir wissen: Sich zu engagieren und anderen zu helfen, macht uns selbst zu glücklicheren Menschen.

Was können Sie anderen Menschen an Motivation oder Ermutigung zum eigenen Engagement mitgeben? Muss man bestimmte Voraussetzungen mitbringen, um ein „Gutmensch“ zu sein?

KLAUS SCHWERTNER: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht zu Heldinnen und Helden werden müsmüssen, um Gutes zu bewirken und Veränderungen voranbringen zu können. Das habe ich auch in meinem Buch „Gut, Mensch zu sein“ geschrieben, das 2021 im Moldenverlag erschienen ist. Oft reicht es, sich die eigene Menschlichkeit zu bewahren. Leider habe ich manchmal den Eindruck wir haben verlernt, einander zuzuhören, das Verbindende vor das Trennende zu stellen. Das Wort „Gutmensch“ wird oft als Negativbegriff instrumentalisiert, der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft mit Naivität gleichsetzt. Dabei ist es viel schwieriger, gerade in schweren Zeiten, die Hoffnung zu bewahren und sich selbst sowie anderen Mut zu schenken. Weiterzumachen. Eine besondere Voraussetzung braucht es dafür nicht. Es ist – und das ist die gute Nachricht – eine Entscheidung, die jede und jeder von uns jeden Tag selbst treffen kann. Die Entscheidung, hinzuschauen. Etwa beim Caritas Kältetelefon, wo Passantinnen und Passanten Schlafplätze obdachloser Menschen melden können, um Hilfe zu ermöglichen. Ein Anruf kann hier einen konkreten Unterschied machen – zwischen kalter Straße und warmem Schlafplatz. Und viele sind bereit, hinzuschauen: Im letzten Jahr haben uns über 9.700 Anrufe alleine in Wien erreicht. Machen wir uns bewusst, dass wir alle die Kraft in uns haben, die Welt zum Besseren zu verändern. Für andere, aber auch für uns selbst.

Gibt es auch Tage, an denen Ihnen dieses Aufstehen schwerfällt?

KLAUS SCHWERTNER: Wir leben in herausfordernden Zeiten. Die letzten Jahre waren für viele Menschen eine Belastungsprobe – mir geht es da nicht anders als vielen anderen. Pandemie, Inflation, Krieg in der Ukraine, in Nahost und im Sudan und nicht zuletzt die Zunahme an polarisierenden und extremistischen Bewegungen weltweit, sowie Lügen, Propaganda und Fakenews, die unsere Demokratie in Bedrängnis bringen – es kann durchaus herausfordernd, beunruhigend und manchmal sogar anstrengend sein, das Positive zu suchen. Ich denke, es darf auch Momente geben, an denen man zweifelt. Zwischen zweifeln und verzweifeln liegt jedoch ein Unterschied. Und ich bin überzeugt: Wir tragen immer beides in uns: Zweifel und Hoffnung. Angst und Mut. Entscheidend scheint mir, was wir in uns stärken wollen. Das, was uns klein macht? Oder das, was uns stärkt und in die Weite führt!

Es gibt wahrscheinlich viele Personen, die grundsätzlich bereit sind, anderen Menschen zu helfen, sich aber nicht längerfristig dazu verpflichten können oder wollen. Gibt es für diese Menschen eine Möglichkeit, sich im Rahmen der Caritas zu engagieren?

KLAUS SCHWERTNER: Es braucht nicht jede Woche mehrere Stunden, um einen Unterschied zu machen. Auch kleinere, punktuelle Einsätze zeigen große Wirkung. Als Caritas möchten wir den Menschen ganz unterschiedliche Wege eröffnen, sich aktiv einzubringen ohne sich gleich zu regelmäßigem Engagement zu verpflichten. Wir wollen Menschen den ersten und oft schwierigsten Schritt erleichtern, um sie dafür zu begeistern, für andere da zu sein. Bei www.fuereinand.at – Österreichs größter Community für Mitmenschlichkeit – kann man sich ganz unverbindlich registrieren und erhält Informationen zu allen aktuellen Einsätzen in seiner Region, wo man punktuell unterstützen kann. Derzeit sind bereits mehr als 44.000 Menschen österreichweit bei füreinand‘ registriert und hunderte von ihnen haben zuletzt bei der Hochwasserkatastrophe Schlamm geschaufelt oder Keller geräumt. Viele unserer Projekte sind zudem auf die Unterstützung durch Spenden angewiesen. Wer wenig Zeit hat und trotzdem helfen möchte, kann etwa über den www.wirhelfen.shop einfach und direkt Menschen in Not unterstützen, mit einem Teller Suppe oder einem Hygienepaket. Jede Spende wirkt und macht einen konkreten Unterschied und schenkt Menschen, die sich oft im Stich gelassen fühlen, neue Zuversicht und Hoffnung.