Unser Herz weiß mehr als wir denken
Unser Herz weiß mehr als wir denken
Ein Mediziner und Meditationstrainer erzählt, wie es uns gelingt, Herz und Verstand in Einklang zu bringen
Es geht um Balance. Herz und Verstand wollen ihren Platz haben. Und das kann erreicht werden, wenn wir lernen, in den richtigen Situationen unser Herz um Rat zu fragen und in den passenden Momenten auf unseren Verstand zu hören. Wie es gelingt, diese beiden Aspekte unserer Innenwelt in gleichem Maße wirksam in unserem Leben zu nutzen, dazu haben wir uns mit dem Arzt, Meditationstrainer und Buchautor Wolf-Dieter Nagl in einem Gespräch ausgetauscht.
Das Verstandesprinzip und die Stimme des Herzens scheinen zwei widerstreitende Kräfte zu sein. Ist es möglich, dass beide jemals an einem Strang ziehen, wenn wir zum Beispiel vor Entscheidungen stehen?
DR. NAGL: Ja selbstverständlich. Ich würde auch nicht sagen, dass Herz und Verstand generell widerstreitende Kräfte sind. Doch es gibt Situationen oder Entscheidungen, die wir im Leben treffen müssen, wo das Herz das eine sagt und der Verstand uns etwas anderes rät. Dann fühlen wir uns hin- und hergerissen und unwohl. Die Neurowissenschaft belegt heute, was wir schon lange wissen: Wir können die Art zu denken, unser Leben lang verändern.
„Wir können lernen, so zu denken, wie das Herz fühlt, aber es wird uns nicht gelingen, das Herz mit Argumenten zu überzeugen.“
Die Weisheit des Herzens allerdings ist wie sie ist und wir können sie auch nicht manipulieren. Wir können sie lediglich ignorieren oder aber ihr folgen. Wenn wir lernen, unsere Denkweise an die fühlbaren Wahrheiten des Herzens anzupassen, dann kommen Herz und Verstand in Einklang, und wir erleben uns als stimmig und authentisch.
Worin genau unterscheiden sich diese beiden Prinzipien, und welche Qualitäten bringt jedes der beiden mit sich?
DR. NAGL: Alle Erfahrungen unseres Lebens sind in unserem Gehirn abgespeichert, und die Erkenntnisse daraus bilden die Grundlage für unseren rationalen Verstand. Aufgrund vergangener Erlebnisse können wir bevorstehende Ereignisse besser einschätzen und Szenarien für deren wahrscheinlichen Ausgang geistig durchspielen und rational durchdenken. Diese Vorstellungen und Betrachtungen sind allerdings sehr subjektiv und damit lückenhaft. Und sie sind auch nicht für alle Lebensbereiche sinnvoll anwendbar. Gerade wenn es um Themen geht, wo Zahlen, Fakten und Daten keine entscheidende Rolle spielen, wie beispielsweise in Beziehungsfragen oder dem Finden der eigenen Berufung, sind wir gut beraten, der Stimme des Herzens zu vertrauen und ihr zu folgen.
„Wie der Wegweiser nicht selbst den Weg geht, den er weist, sind wir aufgefordert, die fühlbaren Informationen des Herzens in Gedanken zu übersetzen und in Taten zu gießen.“
Bei faktenbasierten Themen ist die Ratio allerdings der bessere Ratgeber und das Gefühl liegt oft daneben. Doch die Stimme des Herzens oder das intuitive Bauchgefühl hat die Besonderheit, eine Vorahnung über den Verlauf unseres Lebens zu haben, da sie unseren inneren Plan kennt. Sie ist kristallklar und wenn wir sie befragen, sagt sie entweder „Ja“ oder „Nein“. Wenn sie nichts sagt, dann ist der Moment für eine Entscheidung noch nicht gekommen oder wir sind noch nicht bereit, sie zu hören. Die Herzensstimme ist allerdings deutlich subtiler und leiser als das Denken und geht daher im Getöse unserer Gedanken häufig unter. Daher müssen wir lernen ihr zu lauschen, den Blick nach innen zu wenden und den Geist zu beruhigen. Dann leitet sie uns gut durchs Leben.
Viele sind interessiert an der Befreiung und Weiterentwicklung des Geistes, fasziniert vom Mysterium des Bewusstseins und wollen vielleicht sogar wissen, wie sie damit auf den physischen Körper Einfluss nehmen können. Was können Anfänger*innen und auch Geübte tun, um wirksame Erfahrungen zu machen und welche Rolle spielt dabei die Meditation?
DR. NAGL: Meditation ist die Schulung des Geistes, durch die wir lernen, unsere Aufmerksamkeit zielgerichtet einzusetzen, anstatt in unseren Gedanken zu versinken. Wenn wir meditieren, aktivieren wir ganz spezielle Areale in unserem Gehirn, die beispielsweise die Konzentrationskraft fördern und das Angstzentrum dämpfen, und wir lernen Gedanken und Emotionen besser zu regulieren. Wir wissen heute, dass diese Praxis das autonome Nervensystem in Balance bringt und sich auf das Immunsystem positiv auswirkt. Über das Erleben innerer Bilder können wir darüber hinaus lernen, spezifische Organfunktionen zu beeinflussen, die sich üblicherweise nicht willentlich ansteuern lassen, wie beispielsweise die Herzaktivität oder die Verdauungstätigkeit. In meiner Praxis und in Seminaren messe ich regelmäßig das Herzschlagmuster der Meditierenden, das sich durch spezielle Atemtechniken innerhalb von Sekunden harmonisiert. Dieser Effekt ist sehr eindrucksvoll und lässt sich optisch am Computer darstellen.
Sie haben in den letzten Jahren viele Menschen mit Bewusstseins- und Meditationstraining begleitet. Was ist, Ihrer Erfahrung nach, das Wichtigste und Hilfreichste, wenn man diesen Weg geht und sich diese Techniken zunutze macht?
DR. NAGL: Zunächst die Freude und Faszination, den eigenen Geist zu erforschen. Wichtig ist, sich täglich für die Meditation Zeit zu nehmen, und wenn es nur zehn Minuten sind. Am besten zu einer ganz bestimmten Zeit des Tages. Ansonsten verschwindet unser Vorhaben schnell wieder in der Schublade. Während der Meditation ist es wichtig, geduldig und nachsichtig mit der eigenen Aufmerksamkeit zu sein und sich nicht darüber zu ärgern, wenn sie ab - driftet – denn diese immer wieder aus den Gedanken zurückzuholen ist ja die Übung. Dann merkt man innerhalb weniger Wochen, dass sich mehr Ruhe und Gelassenheit im Geiste ausbreitet und das Leben freudvoller wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
A. HANEDER
termine
wolf-dieter nagl Wolf-Dieter Nagl im elisana – Zentrum für ganzheitliche Gesundheit
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