Elisabeth von Thüringen – ein Lichtblick in unserer Zeit
Elisabeth von Thüringen – ein Lichtblick in unserer Zeit
Sie begegnen uns im Laufe der Geschichte immer wieder: Menschen, die auffallen, weil sie „anders“ sind und neue, überraschende Wege einschlagen, sich über Konventionen hinwegsetzen und ganz und gar nicht den landläufigen Erwartungen entsprechen. Sie ecken an und sind äußerst unbequem. Die Geschichte lehrt uns aber auch, dass die Funken für Veränderungen oft gerade von solchen Menschen gezündet werden. Die Hl. Elisabeth war so ein Mensch: in ihrer Zeit vor 800 Jahren eine unmögliche Aristokratin, heute eine der bekanntesten Heiligen und immer noch Inspirationsquelle für viele. Warum ist sie auch im 21. Jahrhundert immer noch ein Lichtblick?
Elisabeth – die unmögliche Adelige
1207 als Tochter eines ungarischen Adelsgeschlechts geboren, wird sie bereits als vierjähriges Kind auf die Wartburg an den Hof des Landgrafen von Thüringen gebracht. Sie soll gemäß der damals üblichen Heiratspolitik zwischen Adelshäusern einmal dessen Sohn ehelichen, um die Machtallianz zwischen Thüringen, Ungarn und Böhmen zu festigen. Am thüringischen Hof wächst sie heran in einer Zeit, in der man die mittelalterliche Ständegesellschaft als gottgegeben und unüberwindlich hinstellt und große, himmelstrebende Kathedralen als Zeichen der Gottergebenheit erbaut. Hinter dieser christlichen Fassade sieht die Wirklichkeit freilich anders aus: während die feudale Hofgesellschaft die Landbevölkerung ausbeutet und rauschende Feste auf der Wartburg feiert, lebt ein Großteil der Bevölkerung in aussichtslosem Elend. Viele haben keine Chance auf Arbeit und fristen ihr Dasein almosenbettelnd auf den Straßen, Plätzen und Kirchentreppen. Es gehört zwar zur Frömmigkeit der Besitzenden, der notleidenden Bevölkerung Almosen zu geben, die Motivation dahinter ist aber eher, sich selbst damit den Weg in den Himmel zu bahnen, als tatsächlich etwas an den Zuständen ändern zu wollen. Niemand kommt auf die Idee, diese Verhältnisse in Frage zu stellen.
Bei Elisabeth aber trifft die Wahrnehmung dieser Zustände einen Nerv. Sie erkennt, dass ihr privilegierter Lebensstil auf Kosten anderer funktioniert. Und sie kann nicht wegschauen, sondern handelt, fragt nicht lange nach Erlaubnis, sondern folgt ihrem Empfinden und beginnt, aus ihrer innersten Haltung der Nächstenliebe heraus Dinge zu verändern: Sie zeigt deutlich ihre Abneigung gegen Repräsentationspflichten, trägt statt prunkvoller Roben einfache Wollkleider und legt in der Kirche ihren Schmuck ab: „Wie kann ich eine goldene Krone tragen, wenn der Herr eine Dornenkrone trägt?“ Es ist durch ihre Gefährtinnen auch historisch belegt, dass sie bei Tischgesellschaften an der Seite ihres geliebten Gatten Ludwig Essen verweigert, von dem sie weiß, dass es aus erpressten Abgaben stammt. Den Bettlern vor den Toren der Wartburg gibt sie großzügig Almosen, entschädigt nach Kräften die ausgebeutete Landbevölkerung und öffnet in der Hungersnot ihre privaten Kornkammern. Das alles geht ihr am Thüringischen Hof durch, solange sie sich der Unterstützung ihres Gemahls Ludwig sicher sein kann. Als dieser aber auf einem Kreuzzug stirbt, wendet sich das Blatt für Elisabeth. Knapp zwanzigjährig ist sie nun mit drei kleinen Kindern zur Witwe geworden und bekommt die ganze Wucht der Abneigung ihrer übrigen Familie, die sie schon lange für unmöglich und - heute würde man sagen - „durchgedreht“ hält, zu spüren. Man beginnt, sie regelrecht von der Wartburg zu ekeln. Ihr weiterer Lebensweg entspricht dann ihrem eigentlichen, radikalen Ideal: nicht aus gesicherter Position heraus Wohltäterin sein, sondern selbst als Arme unter Armen ihren Nächsten zu dienen. Mit der Ablöse ihrer Witwengüter und dem Rest ihrer Aussteuer gründet sie in Marburg ein Hospital und pflegt dort die Ärmsten der Armen bis zur Erschöpfung. Sie stirbt am 17. November 1231 im Alter von nur 24 Jahren. Schon vier Jahre später wird sie heiliggesprochen.
„Wie kann ich eine goldene Krone tragen, wenn der Herr eine Dornenkrone trägt?“
Elisabeth - eine zeitlos faszinierende Persönlichkeit
Als moderne, aufgeklärte Menschen sind wir schon lange stolz darauf, das Mittelalter überwunden zu haben. Zu Recht, denn viele Entwicklungen haben dazu geführt, dass ein Großteil der Menschheit heute in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand leben kann. Aber bei genauerer Betrachtung könnte Elisabeth, würde sie heute leben, in unserer global vernetzten Welt vermutlich doch einiges auffallen, was sie an die Zustände ihrer Zeit erinnern könnte: eine immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, Ausbeuter und Geknechtete in vielerlei Hinsicht, Mauern und dichte Grenzen, Ströme von Menschen auf der Flucht vor Armut, Egoismus und Gleichgültigkeit, ein fragwürdiger Umgang mit der Würde vieler Menschen, Sinn- und Orientierungslosigkeit, Heuchelei und Halbherzigkeit, Menschen als Spielbälle im Gefüge der Mächtigen usw.
Elisabeth hatte zu ihrer Zeit sicher kein Konzept dafür, wie man die Probleme lösen konnte. Sie hat keine Reformen durchgesetzt oder gar die mittelalterliche Klassengesellschaft nachhaltig verändert. Global gesehen waren ihre Bemühungen und Aktionen vielleicht nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, aber für jene, denen sie half, machten sie den existentiellen Unterschied. In jedem Bedürftigen sah sie Christus selbst und verstand die Botschaft des Evangeliums ganz einfach und unmittelbar: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Was aus dieser Haltung heraus von Mensch zu Mensch geschieht, geht niemals verloren. Wäre es nicht so, würde sich heute wohl niemand mehr an Elisabeth erinnern.
Und noch ein Aspekt ihres Handelns, der uns auch heute noch zu denken geben könnte: sie verschwendete keine Zeit damit, die Verantwortung allen Übels anderen zuzuschieben, oder die Auseinandersetzung mit dem Problem an andere zu delegieren. Das hätte sie als Landesfürstin wohl auch tun können. Nein, sie zog aus der ständigen Konfrontation mit dem Hunger und Elend ganz persönlich die Konsequenz, indem sie bei sich selbst anfing und begann, ihren Lebensbereich nach ihren Möglichkeiten zu verändern.
Elisabeth – eine makellose Heilige?
Wir feiern am 19. November das Fest der Heiligen Elisabeth. Von Heiligen haben wir oftmals die recht naive Vorstellung, dass sie perfekte Menschen waren, die uns durch ihr beispielhaftes Leben Vorbilder sein sollen. Tatsächlich sind es aber meist Persönlichkeiten, deren Menschsein Höhen und Tiefen durchlief, wie wir sie jede und jeder auch selbst kennen. Auch im Leben der Hl. Elisabeth gibt es Dinge, die wir aus heutiger Sicht nicht verstehen können und kritisch hinterfragen, wie z.B. das Verhältnis zu ihren Kindern oder zu ihrem umstrittenen Beichtvater Konrad von Marburg. Aber perfekte Menschen haben noch zu keiner Zeit existiert. Niemand ist größer oder besser als ein anderer, niemand kennt der Weisheit letzten Schluss besser als ein anderer. Vor Gott sind wir alle gleich. Die Hl. Elisabeth hat es uns vorgelebt.
A. Retschitzegger
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